Hm… Bier. Das köstliche, gold-gelbe Gesöff. Prickelnd, liegt es auf der Zunge. Wohlig und kühl fließt es die Kehle hinunter. Er greift nach der Flasche vor sich auf dem Tresen, doch seine bierseligen Gedanken werden von der Leichtigkeit der Flasche getrübt. Eine leere Bierflasche ist in seinem Zustand ein schlechtes Zeichen. Er blickt hinüber zu dem jungen Kerl, der gerade eine der gekühlten Flaschen aus dem Kühlschrank nimmt. Das sanfte „Plopp“, das darauf folgt, ist wie Musik in seinen Ohren.
„Noch eins“, verkündet er laut und hält dabei das Elend der leeren Flasche in die Höhe.
Der Junge kommt zu ihm herüber, an den äußersten Rand des Tresens. Wie in Zeitlupe, scheint er sich zu bewegen. Er stützt sich mit seinem rechten Arm neben ihm ab – ganz entspannt, als wäre seine Bier-Not nur eine Nebensächlichkeit.
„Ich glaube, du hast genug“, sagt der Barkeeper in viel zu ruhigem Ton. Josh… John… Egal, der mit dem Hut.
„Ich will n verdammtes Bier und keinen dummen Rat“, knurrt er, ohne darüber nachzudenken. Schließlich war es ja die Wahrheit.
Josh stützt sich vom Tresen ab und stellt sich direkt vor ihn. Die Arme vor der Brust verschränkt. Der Blick finster und ernst. Als würde ihn das einschüchtern.
„Und ich sag dir, dass du lieber heim gehst“, verkündet John laut, „sonst kannst du dir ‚ne andere Stammkneipe suchen.“
Oh, welch wirksame Drohnung! Dieses Drecksloch würde die Hälfte seiner wöchentlichen Umsätze verlieren, wenn er nicht ständig hier saufen würde. An manchen Tagen war er wahrscheinlich der einzige Gast, der länger als ein Bier hier war.
Bevor John, oder wie auch immer sein Name ist, sich von ihm wegdrehen kann, greift er blitzschnell mit der Hand nach vorne und erwischt seinen Hemdsärmel. Er ist von seiner eigenen Reaktion überrascht. Er hat nicht geglaubt, dass er mit mehr Alkohol als Blut im Körper noch so schnell sein kann. Mit der freien Hand stützt er sich auf der Holzplatte vor sich ab, um nah an den Burschen heranrücken zu können.
„Du sagst mir gar nix!“, knurrt er und sieht, wie der junge Mann mit dem Kopf vor ihm zurückweicht und ihn entgeistert anschaut. „Und jetzt bring mir das scheiß Bier.“
Josh schüttelt die Hand ab, die unnachgiebig an seinem Ärmel gerissen hat. Er bringt genügend Abstand zwischen sie beide, dass er nicht noch einmal festgehalten werden kann. Johns Blick ist ungehalten. Die Augenbrauen wütend zusammengezogen. Kein Vergleich zum tödlichen Blick des bierlosen Kunden. Der Barkeeper verschränkt die Arme vor der Brust und schüttelt nur noch mit dem Kopf.
„Und?“, fragt der Betrunkene und schubst die leere Flasche in seine Richtung. „Wird’s bald?“
Die Flasche rutscht über die Kante der glatt polierten Theke. Dahinter landet sie klappernd auf der Arbeitsfläche des Barkeepers und wird von ein paar anderen Flaschen aufgehalten, bevor sie auf dem Boden in tausend spitze Glasscherben zerspringen kann.
„Gibt’s hier ein Problem?“, fragt jemand, direkt neben ihm. Ein kräftiger Arm legt sich um seine Schulter und hält ihn fest. Er kann sich kaum aus dem schweren Griff befreien, der ihn auf dem Stuhl hält.
„Lass deine Finger von mir!“, knurrt er wütend und stößt blind mit dem Ellenbogen in die Richtung, in der er den Angreifer vermutet.
„Hey, immer mit der Ruhe…“, sagt der zweite Typ, der jetzt zu seiner Linken auftaucht. Ein Biker, mit ranziger Lederkutte und langen Haaren, verwaschener Jeans und vernarbtem Gesicht. Ganz harte Kerle, die zwei.
„Ich bin ruhig…“, brummt er wütend und spürt endlich eine Lockerung in dem Griff um sich. Er nutzt den Moment der Unaufmerksamkeit und duckt sich unter dem Arm hervor. Wankend, aber frei, kommt er hinter dem Barhocker zum Stehen. Ein Blick über die Schulter, in den offenen Schrankraum hinein, sagt ihm, dass keiner außer ihnen mehr hier ist. Der Schuppen, in dem kein Stuhl zum anderen passt und verstörende Bilder die Wände zieren, ist leer.
Er blickt wieder nach vorne. Dabei wird ihm schwindelig von der schnellen Bewegung. Kopfschüttelnd versucht er gerade zu stehen. Der Junge ist gerade dabei, um die unordentliche, aschgraue Theke herumzugehen. Aus dem Augenwinkel sieht er, wie einer der Biker langsam näherkommt und eine Hand nach ihm ausstreckt.
Wie ein Tier, das in die Ecke gedrängt wurde, fühlt er sich. Die Gefahr kommt immer näher. Es ist ausweglos. Sie werden ihn schnappen. Genau so muss es sich anfühlen, wenn man als unschuldiges Reh in die Flinte eines Jägers schaut. Nur ohne den ganzen Scheiß mit der Todesangst. Er hat nicht das Bedürfnis sich fangen zu lassen.
„Glaub, du gehst besser“, sagt der Junge mit dem Hut entschlossen. Er steht jetzt vor ihm und streckt die Hände nach ihm aus. Er packt ihn an den Schultern und schiebt ihn nach hinten. In Richtung der Holztür – dem Ausgang.
„Fass mich nicht an!“, brüllt er. Ungehalten hält er gegen die Kraft des jungen Mannes an, bis er die Hände auf seinen festen Brustkorb legt und zustößt. All seine Gewalt, die er in betrunkenem Zustand aufbringen kann, nimmt er in diesem Stoß zusammen. Wie in Zeitlupe sieht er wie Josh die Augen aufreißt und sich der Kontakt zwischen ihnen löst. Er kippt nach hinten, rudert mit den Armen, doch findet keinen Halt. Erst die scharfe Kante der Theke, auf der er vor wenigen Minuten noch sein Bier geleert hat, hält ihn auf. Besser gesagt, seinen Kopf.
Mit einem lauten Krachen knallt sein Schädel gegen das Holz. Der Hut fällt, so wie der leblose Körper des Jungen. Bis er realisiert, was gerade geschehen ist, dauert es einige Momente. Er hört nur seinen trommelnden Herzschlag. Spürt nur die Schweißtropfen, die seine Schläfe hinab rinnen. Die Biker sind still. Es ist totenstill. Ohne zu blinzeln, starren alle drei hinab auf den Boden. Erst das Blut, das sich langsam, zähflüssig und dunkel auf dem klebrigen Linoleum ausbreitet, bringt ihn wieder in Bewegung.
So schnell ihn seine vom Alkohol langsamen Beine tragen können, dreht er sich herum und stürmt aus dem Schuppen heraus. Ohne sich umzudrehen, stolpert er über den Parkplatz. Er ist hierhergelaufen, weil er zumindest vernünftig genug ist, in seinem Zustand nicht mehr zu fahren. Jetzt wäre ihm das scheiß egal. Er würde alles dafür geben, mit dem Auto flüchten zu können.
Draußen ist es kühl geworden. Die frische Nachtluft lässt das Adrenalin nur noch schneller durch seinen Körper schießen. Über den Asphalt der Straße rennt er, ohne Rücksicht. Das zwei große gelbe Scheinwerfer ihn nur knapp verfehlen, interessiert ihn nicht. Sein Blick sucht panisch die Umgebung ab, nach einem Fluchtweg. Einem Ausweg.
Er rennt in die sandige Landschaft. Aufwirbelnder Staub begleitet jeden seiner Schritte. Er rutscht mit den schweren Stiefeln aus, fällt beinahe mit dem Gesicht nach vorne in den Dreck. Es ist stockfinstere Nacht und die karge, trostlose Landschaft um ihn herum sieht überall gleich aus. Er läuft blindlinks weiter. Vorbei an Kakteen und knorrigen Sträuchern. Jeder beschissene Stern da oben kann sein Elend sehen.
Dornen reißen ihm den Arm auf, als er durch die Dunkelheit auf eine windschiefe Hütte mitten in der undurchsichtigen Nacht zu stolpert. Der Schnitt brennt. Er spürt Blut, das über seine Haut rinnt. Ein klägliches Heulen stört die Stille der Einöde. Sicher einer der beschissenen Kojoten. Der Sheriff hätte sie alle abknallen sollen… Doch je näher er dem Gebäude kommt, desto lauter wird das Heulen. Als würde ihn das Tier verfolgen. Auf ihn zu schleichen. Ihn einkreisen, wie die Biker vorhin.
Er erreicht die Hütte, die sich als stinkendes, siffiges Klohaus herausstellt. Der beißende Uringeruch ist sogar hier draußen deutlich wahrzunehmen. Mit dem Rücken lehnt er sich gegen die nackten Steine. Für einige Sekunden erlaubt er sich, den Kopf nach hinten fallen zu lassen und durchzuatmen. Sein Herz schlägt so stark in seiner Brust, seine Lunge schmerzt so sehr beim Atmen, dass er denkt, er müsse jeden Moment tot umfallen. Rasselndes Einatmen. Zitterndes Ausatmen. Der Alkoholpegel in seinem Körper wird vom Adrenalin der vergangenen Minuten verdrängt. Sein Kopf schwirrt, aber nicht von all dem Bier, das er intus hat.
AUUUUUUH.
Das laute, bellende Geheule des Kojoten lässt ihn zusammenzucken. Sein Kopf schnellt herum, in die Richtung, aus der es gekommen ist. Direkt neben ihm. Das Tier muss keine fünf Meter von ihm weg sein. Er wagt es, sich langsam an die Ecke der Hütte zu schleichen. Vorsichtig spät er herum. Im selben Atemzug schreckt er zurück. Sein Herz setzt einen Schlag aus. Gänsehaut, am ganzen Körper. Die feinen Härchen in seinem Nacken stellen sich auf und er schaudert.
„Scheiße…“, murmelt er. „Scheiße, das ist der verdammte Alkohol…“
Er kann nicht anders, als noch einmal hinzusehen. Nur ein paar Schritte entfernt, in der Finsternis kaum zu erkennen, steht er. Knurrend. Das Fleisch hängt ihm in Fetzen vom Körper. Blutige, wässrige Wunden, überall an seiner mageren Gestalt. Das wenige Fell ist von Dreck und Schlamm verklebt. Eines der Ohren fehlt zur Hälfte. Gott, kann man durch die freiliegenden Rippen an seiner Seite etwa seine Innereien erkennen? Ihm wird schlecht beim Anblick des Tieres. Widerlich, geifernd, halb tot, steht es vor ihm. Die roten, untoten Augen sind genau auf ihn gerichtet. Sie leuchten in der Nacht. Brennen. Wie angewurzelt steht er da und kann nicht wegsehen.
Die Pfoten des Kojoten, des Höllentiers, machen kein Geräusch, als es langsam auf ihn zukommt. Erst, als es schon viel zu spät ist, um wegzurennen, dreht er sich um und läuft, läuft um sein beschissenes Leben. So schnell und so sicher ihn seine müden Beine in seinem volltrunkenen Zustand tragen können. Doch sein Schicksal war schon in dem Augenblick besiegelt, in dem er das Höllentier angestarrt hat. Ein schwerer Körper reist ihn zu Boden. Dumpf und hart ist der Aufprall auf dem Sand. Die Luft wird gewaltsam aus seinen Lungen gepresst. Er hat Staub auf den Lippen, auf der Zunge und atmet ihn ein. Hustend versucht er sich unter dem enormen Gewicht des Tieres herauszuwinden. Irgendwie schafft er es, sich auf den Rücken zu drehen, unter den Pranken des Tieres. Blind greift er an den sehnigen Hals und packt zu. Speichel tropft auf ihn herunter. Der stinkende Atem des Kojoten brennt ihm in den Augen, als es die Zähne fletscht und nach seiner Kehle, seinem Fleisch lechzt. Er sieht hinauf, zu seinem tödlichen Angreifer. Das letzte, das er sieht, bevor der Sand von seinem Blut getränkt wird, ist Feuer. Das Höllenfeuer, das sich in den glühenden Augäpfeln spiegelt. Der Teufel höchstpersönlich kommt ihn holen. Und lässt ihn für seine Sünden bezahlen.
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