Sein weißer Kittel leuchtet in der Nacht. Der Kragen und die Brust sind von Blut bedeckt. In seiner Seite steckt ein rostiges, altes Messer. Sie trägt ein langes, schwarzes Kleid. Spitze bedeckt das Dekolletee. Um den Hals baumelt ein umgedrehtes Kreuz. Die schwarzen Haare sind von einer einzigen weißen Strähne durchzogen. Doch ihre Haut ist blass und kalt – blutleer und Untot. Der Dritte hält die stumpfe Waffe, die er führt, in seiner rechten Hand. Die helle, blutbespritze Maske bedeckt sein gesamtes Gesicht. Drei gruselige Gestalten, vor dem Haus der Bakers.

„Wusstet ihr, dass Halloween ursprünglich Samhain hieß?“, sagt der Nerd. „Das Fest, bei dem die Grenze zwischen den Lebenden und den Toten geöffnet wird.“

„Jetzt wissen wir es“, murmelt die Goth-Queen. Doch zu sehr ist sie abgelenkt von den wunderschönen Grabsteinen, die im Vorgarten aufgestellt sind. Wie auf einem jahrhundertealten Friedhof. Die Steine, von Moos bewachsen, abgenutzt oder kaum lesbar, reihen sich aneinander. Ob die Namen dort drauf auch nur ausgedacht sind?

Kürbisse, aus deren geschnitzten Mündern es raucht und dampft. Als würden sie von innen heraus brennen. Ihre hohlen Köpfe, von Teelichtern beleuchtet, schneiden grausame Grimassen. Die Grabkerzen erleuchten den Weg. Ihr rötlich leuchtendes Flackern verbreitet unheimliches Licht, während sie den Pfad hinauf zur Haustür gehen.

Aus den Fenstern heraus blicken sie unheimliche Gestalten an. Monster und Mörder. Untote und solche, die es vielleicht noch werden wollen. Wahnsinnige, die einen bis in die schlimmsten Albträume verfolgen. Und die, die erst vertrauenswürdig wirken. Freundlich. Und dann zu kommen, wenn man schläft.

Die Haustür ist verschlossen. Der Türbeschlag ist ein großer Teufelskopf mit leuchtend roten Hörnern. Er grinst breit, die spitzen Zähne blitzen hervor. Einer der drei greift vorsichtig danach. Doch als er ihn berührt flackert das wenige Licht plötzlich um sie herum. Nebelschwaden strömen aus dem Mund des Teufels. Ein grausames, dämonisches Lachen erklingt und füllt die angespannte Stille.

Die Tür schwingt langsam, knarzend auf. Der Blick wird frei auf einen langen Flur. Wie ein schwarzes Loch scheint er ins Nichts zu führen. Ein Gefühl von Unsicherheit macht sich in der Gruppe breit. Werden sie verschlungen, sobald sie einen Fuß hineinsetzen? Werden Sie einen Weg zurück aus der Dunkelheit finden? Oder bleiben sie für immer im Unbekannten? Im dunklen, endlosen Nichts?

Jason, der mit der Hockeymaske, macht den ersten Schritt. Vorsichtig betritt er den Innenbereich. Die Holzdielen unter seinen Füßen knarzen laut, als er sein Gewicht darauf verlagert. Erst, als er darin ist, dass das Haus von Innen genauso dekoriert ist, wie von außen.

Riesige Spinnenweben an den Wänden und in den Ecken. Die Bilder an den Wänden sind alte, verzerrte Gemälde von Toten. Kürbisse und Grabkerzen säumen den Flur. Und eine blutige Spur führt über die Dielen den Flur hinunter. In den Schwarzlicht-Lampen, die von der Decke hängen, wirkt alles dunkel und unheimlich. Die weißen Schnürsenkel in den Plateau-Stiefeln der Goth-Queen leuchten bläulich. Der Kittel des Nerds ebenso. Jasons Maske. Manche Bilder der Bilder an den Wänden haben im Licht gruselige Grimassen.

Der Masken-Träger legt sich den Zeigefinger über die Lippen, um die anderen dazu zu bringen, still zu sein. Dann deutet er in Richtung des Wohnzimmers. An der Wand zeigt ihnen ein leuchtender Pfeil den Weg. Sie gehen nacheinander in die Richtung. Der Nerd vorsichtig, unsicher und sich bei jeder noch so winzigen Bewegung umsehend. Die Goth-Queen fühlt sich, als wäre sie in ihrem ganz eigenen Königrein angekommen. Jason geht mit aufgeregter Neugierde voran.

Sie betreten das Wohnzimmer über den offenen Durchgang, als plötzlich die Haustür hinter ihnen zufällt. Die Gruppe bleibt stehen, alle drei zucken zusammen. Das Herz pumpt wild in der Brust. Ein aufgeregtes Kribbeln geht durch die Körper der jungen Menschen. Sie verharren einen Moment. Doch als nichts weiter passiert, wollen sie weiter gehen.

Erst jetzt bemerken die Drei, was in dem Raum vor ihnen ist. Das ganze Raum ist mit Kerzen ausgeleuchtet. Überall stehen sie. Auf den Fensterbänken, auf dem Boden, auf dem Regal. Auf so gut wie jedem freien Fleck in dem sonst finsteren Raum. Auf dem Boden ist ein schmaler Pfad links und rechts von Kerzen flankiert. Die Lichter beruhigen sich noch vom sanften Luftstoß, den die Tür verursacht hat.

Sie gehen vorsichtig weiter. Außer ein paar umgedrehten Kreuzen ist nichts weiter zu sehen. Der Pfand führt sie in die Küche. Ein merkwürdiger Geruch schwebt in der Luft. Nach diesem Film-Blut, dass sich der Nerd literweise übergeschüttet hat. Und nach einem auffälligen Parfum.

Sie schwärmen jetzt aus. Mutiger. Vollgepumpt mit Adrenalin und aufgeregter Energie. Der Nerd geht zielstrebig auf den Tisch zu, auf dem Tablettenschachteln und -döschen verstreut liegen, die er neugierig inspiziert. Die Goth-Queen sieht sich neugierig die vielen verschiedenen Ausgaben der Bibel an, die in einem der Regale untergebracht sind. Der Draufgänger begutachtet die Küchenzeile. Dort kommt der Blut-Geruch her.

Es ist überall auf den weißen Fliesen. Auf der vergilbten Arbeitsplatte ist eine glitzernde Lache. In der Spüle liegt ein blutverschmiertes Messer. Die Klinge ist von den dunklen Tropfen benetzt. Er greift danach. Fasziniert davon, wie real alles hier drin aussieht. Angezogen von der spürbaren Nähe des Todes.

„Das sind richtige Ta…“, doch der Nerd wird unterbrochen. Ein Rumpeln. Ein lauter Knall. Etwas fällt zu Boden. Es kommt von der Treppe. Der Holzboden knarzt, doch keiner der drei bewegt sich. Sie drehen sich gleichzeitig in Richtung der offenen Tür, die zum Flur hinausführt. Doch in der Dunkelheit können sie nichts erkennen.

Die Blicke der Drei finden zueinander. Verwirrung. Angst. Neugierde. Als der Draufgänger vorsichtig einen Schritt in Richtung der Geräusche machen will, hält ihn das Goth-Girl auf.

„Was tust du“ flüstert sie energisch. Er blickt nur verständnislos zurück.

„Wir sollten lieber verschwinden!“, flüstert der Nerd an seiner Stelle. „Es ist verdammt unheimlich hier!“

„Wir sind in einem Horror-Haus. Scheißt euch nicht ein“, antwortet er kühl und reist mit einer einzigen Bewegung seinen Arm los. Bevor ihn die anderen beiden aufhalten können, marschiert er in den Flur hinaus und verschwindet in der Dunkelheit.

„Komm zurück!“, flüstert ihm die Goth-Queen hinterher.

Doch er war bereits in der Finsternis verschwunden. Die beiden Zurückgelassenen warten angespannt. Doch kein Geräusch ist zu hören. Kein Knacken der Bodendielen. Kein Knarzen der Tür. Nichts. Er kommt nicht zurück. Also folgen sie ihm.

Die Tür der Küche führt wieder in den Flur. Aber außer einer Kellertür, die die beiden meiden, geht es nur die Treppe nach oben. Sie folgen der Blutspur, die im Schwarzlicht wie ein schwarzer Schatten auf dem Boden wirkt. Auf jeder Stufe finden sich die Tropfen wieder. Bei jedem Schritt knarzt die Treppe, als würde sie jeden Moment unter ihnen zusammenbrechen.

Oben erwartet sie ein weiterer Besucher. Ein Skelett, das auf einem Schaukelstuhl sitzt und sie mit rot leuchtenden Augen beobachtet. Tot starrt es sie an, wie sie auf der obersten Treppenstufe verharren. Ein dampfender Kürbiskopf steht in der Ecke, der Rauch wabert aus seinem geschnitzten Mund.

Es gibt drei Türen. Hinter jeder von ihnen könnte Jason warten. Der Nerd deutet auf die linke Tür. Das Goth-Girl nickt. Gemeinsam gehen sie auf die Tür zu. Aufgeregt zittern die Hände des Mädchens, als sie nach dem Türknauf greift. Sie kann ihren lauten Herzschlag in ihren Ohren hören. Wie er pumpt. In ihrem Kopf schreit alles. Sie weiß, gleich wird er die Tür aufreißen und sie erschrecken. Doch nichts dergleichen passiert.

Sie dreht den Türknauf und schupst die Tür nach innen auf. Es ist ein Schlafzimmer. Zumindest wäre es das, unter all der Halloween-Deko und den Kerzen. Auf dem Bett liegt etwas, das aussieht wie ein Berg ausgestopfter Klamotten. Die Blutspur endet hier.

Sie wirft einen Blick über die Schulter. Der Nerd ist bereits zur zweiten Tür aufgebrochen. Dann, ein Poltern. Ein kurzes Rumpeln hinter der dritten Tür. Jason, er hat sich verraten.

„Er ist dort drin“, flüstert sie so leise es ihr möglich ist. Dabei dreht sie sich zu der Tür herum, die sie meint. Sie folgt dem Nerd, der jetzt auf diese zugeht. Seine Finger zittern, als er darauf zu geht. Er schluckt den Kloß in seinem Hals hinunter. Er weiß, Jason wird gleich wild schreiend vor ihnen stehen und sie erschrecken. Er weiß er wird gleich…

In dem Moment, in dem er den Türknauf berührt, dreht sich dieser und die Tür springt auf. Jason erscheint im Türrahmen, seine Maske hell leuchtend im Dunklen Zimmer.

„BUH“, brüllt er, so laut, dass die Goth-Queen und der Nerd erschrocken zurückstolpern. Sie klammert sich an den weißen Kittel des anderen. Als der erste Schreck-Moment hinter ihnen liegt, seufzen beide. Die Anspannung fällt von ihnen ab. Jason allerdings lacht triumphierend.

„Hier ist es langweilig“, sagt er laut und quetscht sich an ihnen vorbei. „Lasst uns verschwinden.“

Der Nerd und die Goth-Queen nicken zustimmend.

„Nicht mal Süßigkeiten hat man in diesem Scheiß-Laden bekommen…“ Der Mann, der hinter der dritten Tür gewartet hat, atmet erleichtert aus, als er die drei die Treppe nach unten gehen hört. Er hat sie beobachtet. Sie haben ihn gestört, bei seinem Vorhaben. Angespannt hat er gehofft, sie würden die Leiche im Bett nicht entdecken. Oder glauben, dass das blutige Messer nur eine Attrappe wäre. Oder ihm in dem dunklen Horror-Haus nicht über den Weg laufen. Denn dann hätte er nicht eine, sondern vier Leichen in der Halloween-Nacht begraben müssen.