Blopp.

„Du weißt, dass ich nicht trinken sollte, während ich das Ding fahre“, sagt er, ohne sich umzudrehen. Er kennt das Geräusch nur allzu gut. Und er weiß, dass die anderen hinter ihm schon den halben Nachmittag dabei sind, sich zu betrinken. Aber einer muss nun mal der Nüchterne sein, der das Boot steuert.

„Eins geht schon“, grinst Michael neben ihm und hält ihm die Flasche vor die Nase. Er wirft nur einen desinteressierten Blick darauf und schüttelt mit dem Kopf.

„Siehst du wie eng das hier ist?“, er deutet mit einer Hand nach vorne, auf den Fluss.

Sie steuern durch ein seichtes Flussbett. Links und rechts wächst meterhohes Schilf. Als will es den dunklen, tintenblauen Himmel erreichen. Die blitzenden kleinen Kugeln, die darauf gepinnt sind, berühren. Das Wasser schwappt sachte gegen den Rumpf des kleinen Bootes, das sie für den heutigen Abend ausgeliehen haben. Grillen zirpen. Nur das leise Brummen des Motors ist neben dem Geräusch der Natur um sie herum zu hören.

Und die Musik, die plötzlich einsetzt. Das Gelächter der drei Personen hinter ihm. Er schreckt zusammen. Klammert sich mit beiden Händen am Lenkrad fest.

„Seid ihr verrückt?“, fragt er nach hinten gerichtet, ohne die Fahrtrichtung aus dem Blick zulassen.

„Was bist du so spießig?“, kichert ihm eine der beiden Frauen entgegen.

Er verdreht nur die Augen und versucht sich darauf zu konzentrieren, das Boot durch die enge Wasserstraße zu manövrieren. Unter seinen nackten Füßen spürt er den glatten Boden brummen, vom Bass der Musik. Sogar das Lenkrad an seinen Händen vibriert kaum merklich mit. Er fühlt sich unwohl, die Stille hier, in der friedlichen Natur, mit so viel Lärm und Rücksichtslosigkeit zu stören. Sie könnten genauso gut, ungestört am Vespucci Beach feiern. Mit ein paar Freunden. Aber nein, sie mussten ja unbedingt diesem Spinner, der Ihnen in Paleto den Weg zu diesem einsamen Flussbett gezeigt hat, glauben.

Langsam lässt er den Blick über die dunklen Wellen und das dicht bewachsene Ufer schweifen. Es ist so finster, dass er alles dahinter kaum erkennen kann. Die Party hinter sich versucht er auszublenden. Doch es gelingt ihm nicht ganz. Er lenkt das Boot etwas nach links, um irgendetwas rechts im Wasser auszuweichen. Es sieht aus, wie ein Stück Holz, das an der Oberfläche schwimmt. Einige Meter weiter, erkennt er noch eines. Und noch eines. Er schaltet die Geschwindigkeit des Bootes herab. Vorsichtig lenkt er daran vorbei.

Plötzlich taucht vor Ihnen eine Art Gebäude in der Dunkelheit auf. Eher ein Bretterverschlag. Ein halb in den Fluss hängender Steg daneben. Auf Höhe des Anlegestegs schwappt ein Boot im seichten Wellengang hin und her.

Die Schreie und das Gelächter hinter ihm verstummen. Er hält das Boot an und hebt die Hand. Eine der drei Personen hinter ihm versteht sofort und die Musik verstummt. Sofort dringen alle Geräusche der Natur zu ihnen durch. Das Zirpen der Grillen. Der Wind, der das Schilf zum Rascheln bringt. Das Wasser, das gegen die Verkleidung des Bootes schwappt.

Vorsichtig versucht er näher heranzusteuern, damit sie sich umsehen können. Sofort bemerkt er den Umschwung der Stimmung. Es ist plötzlich unheimlich. Kalt. Er fröstelt. Als sie nah genug an der kleinen Anlegestelle sind, um hinübersehen zu können, zieht er sich sein Shirt über und schlüpft in seine Turnschuhe. Beim Aufstehen aus seiner niedrigen Position denkt er, eine Bewegung an Land wahrzunehmen. Nur ein Schatten, der sich in der Nacht bewegt. Vielleicht hat er sich auch getäuscht.

„Können wir nachsehen?“, fragt eine weibliche Stimme von der Seite. Er hält es eigentlich für keine gute Idee.

„Natürlich!“, grinst sein Freund, bevor er etwas darauf antworten kann. Er seufzt in sich hinein und fährt das Boot an den Steg heran. Der sieht ziemlich mitgenommen aus. Morsches Holz, vom Wasser gegerbt. Von Moos bewachsen und sicherlich rutschig.

Er schaltet den Motor aus und verlässt den Platz des Fahrers, als er wieder etwas sieht. Eine Person, ein Schatten, der um die Ecke der alten Holzhütte verschwindet.

„Hallo?“, ruft er in die Dunkelheit. „Ist da wer?“

Natürlich bekommt er keine Antwort. Nur ein kalter Windstoß, der ihnen entgegen bläst. Eine ihrer beiden Begleiterinnen will aus dem Boot klettern, als er sie noch einmal zurück hält.

„Der sieht nicht mehr so stabil aus“, sagt er misstrauisch. Sein Kumpel neben ihm winkt nur ab und springt mit einem Satz über die Reling. Der Steg knarzt unter ihm, hält aber. Er bekommt nur ein Zwinkern seines Gegenübers, der dann den beiden Damen aus dem Boot hilft. Das Schiff befestigt er an einem der alten Holzbalken am Steg, bevor er ihnen folgt.

Neugierig geht er in Richtung der Hütte, während die anderen in Ufernähe bleiben. Er will unbedingt herausfinden, ob da wirklich ein Schatten war oder ob ihm sein Verstand einen dummen Streich gespielt hat. Er hört ein Rascheln hinter der Hütte, als er näherkommt. Vorsichtig tastet er sich nach vorne. Sein Herzschlag geht schnell und laut pumpend in seinem Brustkorb. Seine Nackenhaare stellen sich auf. Er fühlt sich unwohl, will umdrehen. Innerlich bereitet er sich darauf vor, auszuweichen. Langsam lehnt er sich nach vorne, um um die Ecke zu spähen.

Eine Frau kreischt plötzlich hinter ihm. Ihr Schrei hallt in der Stille der Nacht wider. Erschrocken weicht er zurück und drückt sich an die Wand der Hütte. Er schwört, dass sein Herz beinahe stehen geblieben wäre. Als er sicher ist, dass niemand um die Ecke kommt und ihn umbringt, sieht er in die Richtung seiner drei Begleiter. Sie stehen im Kreis und blicken auf den Boden. Sofort macht sich ein ungutes Gefühl in seinem Magen breit.

„Da ist…“ stammelt eine der Mädels, beendet aber den Satz nicht.

„Hier liegt jemand“, sagt sein Kumpel.

„Wie bitte?“, fragt er nach und geht zu ihnen hinüber.

„Da liegt jemand im Boot“, bestätigt er deutlicher.

Die anderen haben den Steg verlassen und stehen vor dem herunter gekommenen Fischerboot. Je näher er kommt, desto schlimmer wird dieses Drücken in seinem Bauch, das unangenehme Gefühl in seinem Magen. Ein merkwürdiger Geruch steigt ihm in die Nase. Fischig. Modrig. Auf dem Bötchen liegt etwas, das zuerst einer alten Plane ähnelt. Doch je näher er kommt, desto mehr kann er die Umrisse eines menschlichen Körpers erkennen. Es riecht nach abgestandenem Wasser und Verwesung.

Er geht neben dem Körper in die Hocke. Sein Shirt zieht er sich über die Nase, um sich zumindest etwas vor dem Geruch zu schützen. Ein alter, vergammelter Regenmantel verdeckt den Großteil des Körpers. Eine Fischerhose. Gummistiefel, die voller Schlamm sind. Eine Mütze auf dem Kopf.

Er packt den Körper an der Schulter und dreht ihn auf die Seite. Das Gesicht ist zerfressen und alt. Verwest. Das Gesicht einer Leiche. Augenblicklich lässt er wieder los. Seine Hand wischt er an seiner Badehose ab, während er versucht ruhig zu bleiben. Warum sieht der Mann, der hier tot auf dem Boden liegt, aus wie der, der ihnen den Weg hier her beschrieben hatte?

„Wir müssen die Polizei rufen“, sagt Pete hinter ihm tonlos.

„Oh Gott…“ er dreht herum, in die Richtung, aus der die gemurmelten Worte der Frauen kommen. Sie stehen neben einer Plane. Darunter schaut unverkennbar eine Hand hervor. Ein Bein daneben. Sein Kumpel hinter ihm übergibt sich laut hörbar in das Schilf am Ufer.

„Kommt weg da“, ruft er ihnen zu und holt sein Smartphone aus der Tasche seiner Shorts. Kein Netz. Natürlich nicht. Was für eine Scheiße!

„Wir müssen vom Boot aus funken“, sagt er und dreht sich herum, in Richtung des Stegs. Doch er bleibt wie angewurzelt stehen, als sein Blick auf das Boot von einem riesenhaften Schatten versperrt wird.

Eine Gestalt versperrt Ihnen den Weg. Breitbeinig steht ein Schatten auf dem Steg. Mindestens einen Kopf größer als er selbst. Er hält etwas in der Hand, was er im ersten Moment für eine Schrotflinte gehalten hat. Aber es steckt eine kleine Harpune in der Spitze. Die Metallspitze glänzt im wenigen Licht, das vom Boot herüber scheint.

„Ihr habt also den Weg gefunden…“ Die brummende, gurgelnde Stimme kommt von der Gestalt vor ihnen. Es klingt dem Mann, der Ihnen erklärt hatte, wo sie diesen besonders einsamen Fluss finden, erschreckend ähnlich. Der lange Regenmantel, den er trägt, weht im Wind. Die Gummistiefel sind vom Schlamm bedeckt. Keiner von ihnen sagt etwas. Er wagt es nicht zu atmen. Er hört nur seinen eigenen Herzschlag laut in seinen Ohren pochen. Der Schatten macht einen schwerfälligen Schritt auf sie zu. Doch er schluckt die Angst hinunter, die ihn lähmt.

„Wir wollen nur zu unserem Boot und wieder fahren“, sagt er und versucht ruhig zu wirken. „Wir möchten niemanden stören.“

Die Kreatur kommt näher. Je weiter er auf sie zukommt, desto weiter weichen sie zurück. Seine Turnschuhe sind rutschig auf dem schlammigen Boden. Er sucht mit dem Blick den Boden ab. Vielleicht erspäht er eine Waffe oder irgendetwas, das ihnen helfen könnte. Ein Ast. Ein Stein. Aber die einzige Rettung, ist das Boot.

„Niemand geht hier weg“, sagt die Stimme vor ihnen. Er ist mittlerweile vom Steg herunter getreten und kommt weiter auf sie zu. Ohne darüber nachzudenken, dreht er sich zu den anderen um.

„Bei drei rennen wir“, flüstert er, so leise er kann.

Die Waffe in den großen Händen des Monsters klappert, als er sie zielend vor sich hält. Als würde er seinen Worten Nachdruck verleihen wollen. Auf wen genau er zielt, kann er nicht sehen. Aber wird abdrücken. Das weiß er. In dem Moment, in dem das Klicken ertönt, zuckt er zusammen. Sein Kopf ist wie leergefegt. Nur der reine Überlebensinstinkt bleibt noch in ihm zurück. Er wird sie alle töten. „Drei“, ruft er laut und sprintet im selben Augenblick los. Er rennt links an der Schattengestalt vorbei. Im Augenwinkel sieht er, wie er nach ihm greifen will, ihn aber verfehlt. Er rutscht beinahe aus, auf dem rutschigen Boden, sprintet aber weiter. Er rennt über den Steg, der unter ihm wackelt und ächzt. Das Seil zerrt er vom Balken, um das er es locker gelegt hatte. Dann springt er auf das Boot. Er startet den Motor. Und wartet. Er wartet auf das dumpfe Poltern, das die anderen ankündigt, die ebenfalls auf das Boot klettern. Doch er hört nur noch Schreie und das grässliche Lachen des Fischers.